brooklyn supreme » leseprobe: police officer georgina reed tötete einen mann. besser gesagt einen jungen. im keller eines polizeireviers erzählte sie mir ihre geschichte. weil sie im grunde keine ahnung hatte, wer ich war oder warum sie sich mir erklären musste, log sie. sie hatte angst. ihre zukunft hatte gerade inner- halb eines sekundenbruchteils eine radikale wendung genommen – die zeit, die ein neun-millimeter- hohlspitzgeschoss braucht, um an einer brooklyner straßenecke sein ziel zu finden – und sie versuchte sich damit zu retten, die geschichte halbwegs plausibel klingen zu lassen. immer noch in bushwick, stand ich jetzt an einer ampel und bemerkte erst, dass sie auf grün geschaltet hatte, als hinter mir die erste, dann die zweite und die dritte hupe ertönten. das hupen klang aufgebracht, aber hinter den geschlossenen scheiben meines autos wie aus großer ferne, auch weil ich mit meinen gedanken noch im keller des 83. polizeireviers war, wo georgina reed – viel zu jung dafür, kaum ein cop – auf einem metallklappstuhl saß und mir ihre geschichte erzählte. natürlich log sie und als ich dann die wahrheit kannte, war es mir egal und ich wollte nur noch schlafen. an diesem abend jedoch, vor der ampel, da wollte ich es wissen. ich wollte wissen, was an dieser straßenecke passiert war, weil es mein job war, die wahrheit herauszufinden und nötigenfalls zu verschleiern. auf der fahrbahn neben mir floss der verkehr in die entgegengesetzte richtung und ich sah verschwommene lichter im augenwinkel und hörte das hupen. im rückspiegel konnte ich nichts erkennen. der regen auf der heckscheibe brach das licht der scheinwerfer und rücklichter in hunderte rot und weiß glitzernde scherben. als ich das fenster hinunterließ, klangen die geräusche näher, aber immer noch gedämpft. ich winkte die autos an mir vorbei und dann war ich wieder allein in der stille. hier war es passiert, an der ecke broadway und putnam. vielleicht der schauplatz eines verbrechens. darüber zu entscheiden, ist nicht meine aufgabe. ich gehöre nicht zu denen, die schuld zuweisen. wer weiß, sagte ich mir, vielleicht ist es ja genau so passiert, wie sie gesagt hat – dass sie den jungen stoppen musste, dass sie keine wahl hatte, aber ich zweifelte daran. wenn man mich fragt, dann drückte georgina reed zu schnell ab. außerdem stimmte an ihrer geschichte irgendwas nicht. reed wollte unbedingt, dass ich ihr glaubte, und nichts verrät eine lüge mehr als das bemühen, sie glaub- würdig erscheinen zu lassen. ich stand also an der ecke putnam avenue und broadway, nachdem ich georgina reed im keller des polizeireviers ein paar querstraßen weiter nördlich zurückgelassen hatte, sie gesagt hatte, was sie sagen wollte, und mir mit ihren kurzen kalten fingern die hand geschüttelt hatte, während in ihren feucht schimmernden dunklen augen die hoffnung lag, dass ich ihr helfen könnte, wenn ich ihr nur glauben würde. als ich aus dem revier hinaus in den regen trat, war es schon nach mitternacht. ich hätte gleich nach hause fahren sollen. wobei mein zuhause eher einem hotel glich und aus zwei zimmern in einem apartmentgebäude bestand. ich verließ das 83., stieg in mein auto und ließ den motor an, dann überlegte ich, was ich tun sollte. möglichkeiten gab es genug. ich hätte garrity anrufen und ihn mit der nachricht um den schlaf bringen können. ich hätte zu kat fahren können. vielleicht war sie noch wach, dachte ich, und wenn nicht, würde es ihr nichts ausmachen. sie würde sich im bett aufsetzen und mich im arm halten und nach schlaf riechen. oder ich hätte in eine ruhige bar gehen und so tun können, als würde ich das ganze in alkohol ertränken und hätte damit eine halbwegs passable imitation meines früheren ichs auf einem x-beliebigen barhocker geliefert. 14